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Menschen, die nicht auf ihre Vorfahren zurückblicken, werden auch nicht an ihre Nachwelt denken.
Edmund Burke
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Zwei gegensätzliche Familien im Deutschen Kaiserreich (Kapitel II)
Bevor der Besucher mit dem Lesen der Geschichte beginnt, sollte er Folgendes wissen, um die damaligen Verhältnisse zu verstehen:
Im Königreich Preußen wurde die Erbhörigkeit, Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft 1817 durch den Erlass des Königs (Wilhelm I.) aufgehoben, was den Weg des Landes in die Moderne voranbrachte.
Die Leibeigenschaft in Polen endete 1864, also erst 18 Jahre nach dem Galizischen Bauernaufstand von 1846. In England geschah die Aufhebung bereits 1574 und in Frankreich 1779/ 1789. (Wikipedia)
Zur Jahrhundertwende steigt in Europa der Wohlstand. Der weltweite Warenhandel erreicht seinen Höhepunkt, ebenso die interkontinentale Migration. Von beiden profitieren vor allem die USA. Imperialismus, Sendungsbewusstsein und Rassismus sorgen für die Ausweitung des Kolonialismus, an dem sich nun auch die neue Großmacht Japan beteiligt. Auf internationaler Ebene fördert der Nationalismus staatliche Egoismen und wechselseitiges Misstrauen. Deutschland treibt er in die außenpolitische Isolation. (bpb)
Im Deutschen Reich gab es vor dem Ersten Weltkrieg circa 1,2 Millionen ausländische Wanderarbeiter. Umgekehrt fanden deutsche Wanderarbeiter als so genannte Hollandgänger in den Niederlanden, Belgien oder Frankreich Saisonarbeit. (landarbeiter.eu)
Der Schnitter (Mäher) ist ein Erntehelfer bei der Getreideernte, der das Korn in Handarbeit mäht. Namentlich bei der Heuernte wird der Schnitter auch als Mähder bezeichnet. (Wikipedia)
Meine Großeltern Katharina und Willi und deren FAMILIENSAGA im Kaiserreich
Mein Vater, Hans-Dieter Nixdorf - langjähriger Vorsitzender des Bützower Heimatvereins - hatte immer vorgehabt, Geschichten über seine Ahnen zu schreiben und zu veröffentlichen. Es erschienen von ihm in der Ostsee Zeitung zwar viele plattdeutsche Kurzgeschichten, aber das andere hat er leider nicht mehr geschafft.
Wir hatten schon eine ganze Menge Material gesammelt und obwohl Dieters ältester Bruder Heinz (geboren 1929) viele Bilder mit ins Erzgebirge nahm, als er dort bei der Wismut anfing und seine Elfriede heiratete, gab es doch noch einige, die in Vadderns Besitz blieben. Es liegt nun an mir, dieses historische Erbe (mit Schalk und Respekt) weiterzugeben. Gewisse "peinliche" Dinge bleiben dabei nicht aus, wenn man sie denn als solche betrachtet. Uns waren sie nicht peinlich, denn so spielt das Leben!
Wilhelm und der reiche Weiberstaat aus Ratibor in Schlesien
In der Familie von Wilhelm Nixdorf gab es außer ihm selbst keinen Mann im Haus! Man kann sich auf den nachfolgenden Familienfotos ein Bild von den gutbürgerlichen Grazien machen, die Willis Leben bis einige Jahre nach dem I. Weltkrieg bestimmten und danach nie mehr. Warum der Bruch mit der Verwandtschaft erfolgte, wird in einer anderen Geschichte erzählt.
Die Familie von Wilhelm Nixdorf Ende 19. Jh./ Afang 20. Jh.
Wenn der Milchmann 3x klingelt und die Tochter des Hauses (sich) ihm öffnet
Es heißt, Willis Vater sei Milchmann gewesen! Dieser Beruf war zu jener Zeit meist ein Ein-Mann-Unternehmen, welches in jedem Fall ein gutes Auskommen sicherte. Der Milchmann war sogar pensionsberechtigt. Das Geschäft war gegen Ende des 19. Jahrhundert also nicht nur in Berlin recht erfolgreich.
Bei uns Zuhause erzählte man sich Folgendes! Ein Milchmann hatte eine Tochter des Hauses (Nixdorf) verführt und die Hochzeit war bereits geplant. Daraus wurde jedoch nichts, weil Benannter auf einer seiner Touren ziemlich "benebelt" gewesen und das Pferd mit ihm durchgegangen sei. Er wurde zu Tode geschleift, weil er vom Kutschbock fiel und sich mit dem Fuß im Zaumzeug verfing.
In einem Beitrag heißt es dazu wie folgt: "Bei Schnee und Eis dauerte die Tour oft länger. Dann verlor Vaters Pferd die Geduld und er musste höllisch aufpassen, dass es auf dem Heimweg hinunter zur Unterführung nicht in den Galopp verfiel." Dort wird auch beschrieben, dass die Tätigkeit recht arbeitsintensiv und der Arbeitstag von morgens um halb vier bis drei Uhr nachmittags recht lang war.
Es wäre also nachvollziehbar, dass jemand, der im kalten Winter schon morgens um halb vier auf dem Kutschbock saß, sich auch mal einen aus der Flasche genehmigte. Ob nun mit oder ohne Flasche geschehen, jedenfalls war Willi, der im Bauch seiner Mutter bereits heranwuchs, ein uneheliches Kind, denn einen Bräutigam gab es jetzt nicht mehr. Welch Trauer und Skandal in der damaligen Zeit!
Der Milchmann auf Tour (Quellenangabe siehe unten auf der Seite: Bild 1 * / Bild 2 **)
Das Herz am rechten Fleck
Ich hatte das Originalfoto mit den 4 Bürgersfrauen weiter oben rechts mal vergrößert betrachtet und dabei das Bild eines Preußischen Soldaten aus der Zeit vom Großen Fritz in der Zeitung entdeckt. Ich kann mir gut vorstellen, dass das durchaus so gewollt und inszeniert war, da sie der Gesinnung nach voll und ganz die preußische Politik vertraten. Und das sollte man auch sehen! "Der Untertan" von Heinrich Mann beschreibt das Millieu sehr passend.
Als Wilhelm der II. 1888 letzter Deutscher Kaiser wurde (und König von Preußen war), versprachen sie sich davon als gut situierte privilegierte Bourgeois noch mehr Wohlstand als bereits vorhanden. Insbesondere wurde in Kriegsanleihen investiert. So wurde auch Willi selbstredend von deren kolonialem Weltbild geprägt, was ihn schließlich wahnwitzig dazu bewog, sich mit 17 Jahren als kaisertreuer Bürger freiwillig ins Deutsche Heer zu begeben.
Von seiner überlebten Odyssee oder Himmelfahrt in Verdun und der späteren Zeit im III. Reich wird noch berichtet. Ich denke, man kann sich vorerst ein gutes Bild von Willis Verein machen. Es folgt nun die Geschichte von Katharina Nixdorf (geborene Erling) und ihrer Familie. Diese ist in jedem Fall als tragisch zu bezeichnen!
Schnitterfamilie Anfang des 20. Jh. I Königlich Preußische Landgendarmerie ***
Eine Schnitterfamilie auf dem Gut fern ab der Heimat
Auf dem Bild oben links sieht man die Eltern und Geschwister von meiner Großmutter (Katharina) und rechts die Landgendarmerie. Es ist das einzige Foto, auf dem die gesamte Familie abgebildet ist. Man muss nicht studiert haben, um sehen zu können, dass der Status ein ganz anderer ist als bei den Nixdorfs aus jener Zeit. Sie waren nämlich arm! Nicht gewollt, sondern weil politische Verhältnisse dazu führten. Im I. Kapitel findet man eine Verlinkung zu den Wanderarbeitern in Ost und West. Die aufgerufenen Seiten beschreiben die Situation sehr gut.
Ein Leben wird ausgelöscht
Billige Arbeitskräfte aus fernen Regionen anzuwerben, auch wenn man dadurch die Situation der heimischen Landarbeiter verschlechtert und Hass gegen jene erzeugt, die billiger arbeiten (müssen) als sie selbst, war schon immer ein beliebtes Mittel derjenigen, die andere für sich schuften lassen, um selbst in guten Verhältnissen leben zu können. Mein Urgroßvater, von dem ich den Vornamen nicht kenne, weil alle Urkunden in der Gendarmerie verschwanden, arbeitete mit seinen Angehörigen in der Zeit, als das Foto entstand, auf einem Gut in Kurzen Trechow, das auch heute wieder ein traditionelles Statussymbol verkörpert.
Es wurde damals zwischen Gutsherr und Schnitter ein Kontrakt geschlossen, der beiden Seiten Pflichten und Rechte auferlegte. Nur wurden diese nicht immer eingehalten, von welcher Seite auch immer. Uropa Erling war ein deutschstämmiger Siedler - logisch, er hieß ja nicht Erlingski - aus einer Gegend in Polen, die einmal zum Deutschen Reich gehörte und dann wieder nicht.
Ob er als freier Bauer dort siedelte oder es zwangsweise durch Bestimmung eines Gutsherrn bzw. Herzogs geschah, ist nicht bekannt. Jedenfalls kam er als Schnitter ins mecklenburgische Land und schloß einen wie vorab beschriebenen Kontrakt mit dem Inspektor vom Gut ab. Ob das in Kurzen Trechow geschah oder auf einem benachbarten Gut, ist nicht die Frage, da die Verhältnisse überall gleich waren. Er erfüllte seine Arbeit gewissenhaft, denn da er Vorarbeiter war - beim Erscheinen des Inspektor brauchte er als solcher den Hut nicht abnehmen wie die gemeinen Leute es tun mussten - kann man das wohl als sicher verbuchen?! Auf jeden Fall arbeiteten die Schnitter im Akkord für wenig Lohn.
Als er jedoch die vereinbarte Summe einforderte, kam es zum Streit und schließlich zum Verwürfnis. Uropa Erling - ein stolzer Mann - packte daher seine Sachen zusammen und zog mit der Familie und dem wenigen Besitz zum Bahnhof nach Bützow. Der Inspektor informierte daraufhin die Gendarmerie und behauptete, Erling habe den Vertrag nicht eingehalten.
Die Königlich Preußische Landgendarmerie, welche gemäß der vorherrschenden Rassenideologie die Ostarbeiter gar nicht als richtige Menschen betrachtete, nahm sich der Sache an, holte ihn und seinen Anhang aus dem Zug, verhaftete alle und brachte sie auf das Revier. Dort knüppelten sie meinen Urgroßvater im Keller tot. Einfach mal so ein Leben ausgelöscht! Das gehört, obwohl es einigen nicht ins Konzept passt, auch zur Deutschen Geschichte. Schaut man sich viele Menschen heute an, dann sieht man, dass diese nichts dazugelernt haben!
Was mit seiner Frau geschah, ist nur ein fernes Gerücht. Sie verstarb kurze Zeit darauf im Spital. Alle Urkunden verschwanden, daher stand in der Heiratsurkunde von Katharina und Willi bei ihr, Herkunft unbekannt, was Jahre danach extrem gefährlich war. Die Kinder kamen vorerst ins Heim und wurden später auf die Güter verteilt. Meine Großmutter Katharina kam auf das Gut von Hahn nach Basedow, wo sie später als 14jähriges Küchenmädchen meinem Großvater Willi begegnete. Ihre Schwester Henni kam nach Börgerende.
Später in der DDR nahmen sie und Rudolf, der noch in Kriegsgefangenschaft war, ein Stück Land in Besitz und begannen nach der Bodenreform als Neubauern. (Henni erst ganz allein, bis Rudi aus der Kriegsgefangenschaft kam.) Da sie beide in der Landwirtschaft groß geworden sind, verstanden sie ihr Handwerk und lebten daraufhin ganz gut im Staat, hatten Haus, Pferd, das Meer und ob ein Boot, weiß ich nicht.
Schwester Maria (Ria) kam auf das Gut in Schwiesow. Wie mir erzählt wurde, arbeitete sie Jahre später bei Kaufmann Holtz oder wohnte über dem Laden. Ich kann es aber nicht beschwören. Sie war mit den Winters aus Bützow eng befreundet, die ich aber nicht kenne oder kannte. Mit "Anton" (Insider) haben diese Winters auch nichts zu tun. Als Katharina ihre Schwester Maria sehr viel später in Bützow besuchte, begann sie von der Stadt zu schwärmen. Der Ort Bützow an der Warnow wird jedenfalls noch für romantische Geschichten sorgen. Was weiter geschah, erfahrt Ihr in der nächsten Folge!
Quellenangabe:
* Bild 1 - Quelle
** Bild 2 - Quelle
*** Bild 3 - Quelle
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